Sonntag, 7. April 2019

Schlussetappe nach der Schlussetappe


Photo by Shaun Roy/Cape Epic

Die erste Maßnahme am Tag eins nach dem Cape Epic ist das Aufsuchen des Krankenhauses zum Röntgen meiner rechten Hand. Laura hatte nach Etappe zwei die Verdachtsdiagnose „Kahnbeinbruch“ gestellt und wollte mich unmittelbar in die Notaufnahme schicken. Ich hatte damals auf „geprellt“ plädiert, und konnte mit Hängen und Würgen und nur unter der Auflage, sofort nach dem Cape Epic zum Röntgen zu gehen, diesen Gang abbiegen. Nun komme ich aber nicht mehr drum herum und darf ungewollt einen näheren Blick auf das südafrikanische Gesundheitssystem werfen. Dabei fällt zunächst die aus Deutschland bekannte hochgradig ineffiziente Nutzung von Ressourcen auf. Bis ich endlich meine Hand auf die Röntgenplatte legen darf, werden je zweimal Blutdruck und Sauerstoffsättigung gemessen und ein EKG abgenommen. Immerhin komme ich um‘s große Blutbild drum herum. Meine Hand hat indes keiner auch nur eine Sekunde lang inspiziert. Im Röntgen sieht man, dass man nichts sieht – zumindest kein gebrochenes Kahnbein. Sag ich doch. Wenn die Symptome nicht besser werden würden, solle ich in einer Woche nochmal zum Ultraschall kommen. Zuhause schlägt Laura die Hände über dem Kopf zusammen und erläutert mir, dass mit der Art- und Weise, wie die Röntgenaufnahmen gemacht wurden, die Wahrscheinlichkeit einen Kahnbeinbruch zu übersehen gegen eins geht; und das ein Ultraschall in meinem Fall die sinnloseste weiterführende diagnostische Maßnahme überhaupt ist und ein CT angebracht sei. Letzteres vermutete mein Verstand auch schon; aber wer weiß schon, was die hier für tolle Technik haben. Wie dem auch sei, letzten Montag geht‘s wieder ins Krankenhaus, da die Hand nicht gewillt zu sein scheint, sich zu bessern. Dort stellt man erstmal fest, dass ein Ultraschall eine sinnlose diagnostische Maßnahme ist und schwenkt auf CT um. Dass mein rechtes Kahnbein nunmehr aus zwei Teilen besteht, sehe selbst ich im CT auf den ersten Blick. Mist (dass sie recht hatte). Der befundende Orthopäde will mich für die nächsten Monate in Gips stecken. Laura schlägt in Anbetracht des CTs wieder die Hände über dem Kopf zusammen und erläutert mir, dass mit dieser Verfahrensweise die Wahrscheinlichkeit, dass ich mindestens für ein paar Jahre, wenn nicht lebenslang, mit dem Kahnbein laboriere gegen eins geht. Diese Einschätzung wird vom hinzugezogenen Experten bestätigt. Also beginnen wir mit der Suche nach einem Handchirurgen in Kapstadt, der in der Lage ist, kompetent eine Schraube in mein Kahnbein zu drehen. Gut, wenn du jemanden kennst, der jemanden kennt, der einen Handchirurgen kennt. Ich bekomme schon am nächsten Tag (diesen Mittwoch) abends einen Termin. Es wird dort sofort klar, dass ich ein Upgrade von der Medizin dritter in die Medizin erster Klasse bekommen habe. In einem Land wie Südafrika ist es überflüssig zu erwähnen, dass man den Eintritt dorthin mit der Kreditkarte erhält. Von da an geht es wie am Schnürchen. Verschraubt wird am Donnerstagmorgen. Die einzige Ungereimtheit besteht darin, dass das mit Digitaltechnik ausgestattete Schließfach, in welches ich vor der OP meine Klamotten und Wertsachen eingeschlossen habe, den Dienst versagt. Die Haustechnik ist ratlos und ich bin nach der OP nackt. Letztlich bleibt keine andere Lösung als den Schraubenzieher zu nehmen und das Schließfach aufzubrechen. Moderne Technik halt. Nun bleibt zu hoffen, dass zusammen wächst, was zusammengehört. Letzteres ist nicht ganz selbstverständlich, da ich mir, wie sollte es anderes sein, das Kahnbein am „schlechten“ Ende gebrochen habe. Und dieser Frakturtyp neigt wohl ganz stark dazu, sich nicht wieder zu vereinigen. In jedem Fall bin ich erstmal „doubly screwed“ (Übersetzungshinweis für die Oma: „screwed“ heißt auf Englisch zum einen „verschraubt“ und zum anderen „aufgeschmissen“) und muss mein Wintertraining vorerst auf die Rolle verlagern ...


Nach dieser etwas länglichen Beschreibung meiner persönlichen Schlussetappe nach der Schlussetappe nun zur eigentlichen, zugegebenermaßen eher nüchtern abgefassten „Nachlese“ zum Cape Epic. Dieses war schon ein ziemlich verrücktes Erlebnis für uns. Erst Hoffen und Bangen wir, ob wir überhaupt starten können. Und dann gewinnen wir den Prolog überlegen und haben nach der brutalen ersten Etappe schon ein gutes Zeitpolster. Das kam doch alles ziemlich überraschend und unerwartet. Nach diesem fulminanten Beginn waren wir dann in der günstigsten Situation nicht „auf Krawall“ fahren zu müssen. Umso ärgerlicher war es, dass wir uns noch durch Lauras falsche Hosenwahl (es ist ist mir ein Rätsel, wie die bis dahin ungetragene Hose mit bisher unerprobtem Sitzpolster überhaupt in ihre Tasche gekommen ist) und meinen Griff in den Dreck auf Etappe zwei noch in die Bredouille brachten. Und umso erleichterter waren wir, als wir in Val de Vie schließlich auf die Zielgerade einbogen. Irgendwie konnten wir das Kind noch schaukeln, aber es hätte keine Etappe mehr sein dürfen.

Eine ganz neue Erfahrung für uns war das Medieninteresse während und auch nach dem Cape Epic. Uns hat das einige Male an die organisatorische Grenze gebracht. Als lausige Amateure waren wir da zeitweise ganz schön überfordert. Und ich muss auch sagen, dass es zwar interessant war – aber ständig möchte ich das nicht haben. Für das unbeschreibliche Gefühl beim Überqueren der Ziellinie es geschafft zu haben, bleibt einfach kein richtiger Platz mehr, wenn du unmittelbar nach dem Rennen darüber nachdenken musst, wie du möglichst schnell wieder sauber und interviewbereit wirst und wie du es schaffst, zur rechten Zeit zur Siegerehrung zu erscheinen. Und zumindest für mich ist dieses Gefühl mutmaßlich einer der maßgeblichen Gründe, weshalb ich mich ständig wieder an der Startlinie stehend wiederfinde (um dort selbstverständlich darüber nachzugrübeln, was ich dort verloren habe). Das bringt mich auch gleich zur Frage der Fragen, die uns in den letzten beiden Wochen zig-mal gestellt wurde: Nochmal? Nun, fragt uns das in einem halben Jahr nochmal. Auf der einen Seite war es ein Riesenerlebnis. Aber auf der anderen Seite war es auch ein massiver Kraftakt. Meine Erfahrung ist zwar, dass man Letzteres recht schnell vergisst, aber warten wir es mal ab ...

Zum Abschluss möchten wir nun noch allen danken, die unser Projekt „Cape Epic 2019“ unterstützt haben. Insbesondere sind da die Sponsoren, die uns finanziell unter die Arme gegriffen haben. Und dann sind da noch meine Eltern, die die eigentliche Schlacht geschlagen und auf die Kinder aufgepasst haben (einige Male haben wir auf den Etappen gewitzelt, dass es eigentlich viel cleverer wäre, die maximale Zeit für die Etappen auszunutzen, um möglichst lange kinderfrei zu haben).